Alle kamen zu Wort

Alle kamen zu Wort

Als ers­te Prä­senz­ver­an­stal­tung nach lan­ger Coro­na-Aus­zeit fand im Begeg­nungs­zen­trum AWiS­ta Fre­den­berg eine Gesprächs­run­de beson­de­rer Art statt. Vor­be­rei­tet hat­ten sie Gül­can Dia, Mit­ar­bei­te­rin des AWiS­TA, und unse­re Refe­ren­tin Hei­ke Roth. Unter dem Mot­to „Mein, dein, unser Deutsch­land“ brach­ten sie Geflüch­te­te mit älte­ren Bür­ge­rin­nen und Bür­gern zusam­men. Um das The­ma „Flucht“ ging es, ein The­ma, das, so zeig­te der Nach­mit­tag, die Men­schen in Salz­git­ter stär­ker ver­bin­det als es auf den ers­ten Blick scheint. Das syri­sche Ehe­paar A. berich­te­te davon, wie es sich auf den Weg nach Deutsch­land gemacht hat­te, von ban­gen Wochen der Tren­nung als Frau A. schon in die Tür­kei gelangt war, wäh­rend ihr Mann noch auf syri­scher Sei­te ver­haf­tet wur­de und ins Gefäng­nis kam, von dem lan­gen Weg, der zu Fuß, mit dem Boot und mit dem Zug zurück­ge­legt wur­de, vom bru­ta­len Vor­ge­hen der Poli­zis­ten unter­wegs. Doch das Ziel Deutsch­land stand klar vor Augen, in Salz­git­ter waren schon Ver­wand­te angekommen.

Die Senio­rin­nen vom AWiS­TA, die auch zu der Gesprächs­run­de gekom­men waren, fühl­ten sich an ihre eige­nen Erleb­nis­se in der Kind­heit erin­nert, Frau F. erzähl­te von der eige­nen Flucht aus Glei­witz, mit dem Pfer­de­wa­gen und im Vieh­wag­gon, von der Angst, dass die Fami­lie aus­ein­an­der­ge­ris­sen wird und von allem, was die Frau­en erdul­den und die Kin­der mit anse­hen muss­ten, die Män­ner waren ja noch in Gefan­gen­schaft. Schmerz­haf­te und auf­wüh­len­de Erin­ne­run­gen für Frau F. Am neu­en Ort hei­misch zu wer­den, das sei auch schwer­ge­fal­len, die Flücht­lin­ge aus dem Osten hät­te man als fremd und anders beschimpft.

Dass die Che­mie manch­mal nach­hilft, wenn es um das Zusam­men­le­ben geht, konn­ten Frau V. und Frau D. berich­ten. Frau V., die ältes­te Teil­neh­me­rin in der Run­de, ver­lieb­te sich nach Kriegs­en­de aus­ge­rech­net in einen deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen und grün­de­te mit ihm in ihrer bri­ti­schen Hei­mat eine Fami­lie, spä­ter gin­gen sie zusam­men nach Deutsch­land. Frau D. erzähl­te lachend, dass sie ihre Fami­lie erst nach der Hoch­zeit mit ihrem liba­ne­si­schen Mann ein­ge­weiht hät­ten, undenk­bar sei das für ihre Eltern gewe­sen. 27 Jah­re hält die Ehe mitt­ler­wei­le. Das Ankom­men in Deutsch­land sei ihr schwer­ge­fal­len, berich­te­te Frau V., vor allem wegen der Spra­che. Es sei so schön gewe­sen, eine eng­lisch­spra­chi­ge Freun­din zu fin­den. Auch Frau C. aus dem Team des AWiS­TA ist mitt­ler­wei­le eine Ver­trau­te gewor­den. Ursprüng­lich aus der Tür­kei nach Salz­git­ter gekom­men, sprach sie vor zehn Jah­ren noch kaum Deutsch, mitt­ler­wei­le habe sie kei­ne Pro­ble­me mehr, mit ande­ren in Kon­takt zu kom­men. „Dafür braucht es Selbst­be­wusst­sein“, das hät­te sie am Anfang nicht gehabt. Von den Schwie­rig­kei­ten, Deutsch zu ler­nen, berich­te­te ein wei­te­rer Gast der Run­de, Herr. A., er sprach Ara­bisch und es wur­de zeit­wei­se hit­zig. Jetzt muss­te über­setzt wer­den. Arbei­ten müs­se er und Deutsch zu ler­nen, das fie­le ihm so schwer. Gro­ße Über­ein­stim­mung herrsch­te in der Run­de dar­über, dass es aber wich­tig sei, hier in Deutsch­land die deut­sche Spra­che zu ler­nen, um bes­ser am All­tag teil­ha­ben zu kön­nen. Zum Bei­spiel die Eltern­aben­de sei­ner Kin­der zu besu­chen. Dabei müs­se nie­mand per­fekt Deutsch spre­chen, wich­tig sei, dass man das Bemü­hen dahin­ter erkennt. Bir­git Hynek, die Lei­te­rin des AWis­TA, wies auf die ver­schie­de­nen Ange­bo­te zum Deutsch­ler­nen hin, und Herr A. wur­de nicht ent­las­sen, ohne vor­her in die Män­ner­grup­pe ein­ge­la­den zu wer­den, in der man offen mit­ein­an­der reden und sein Deutsch üben könne.

Frau H. gab zu beden­ken, dass es doch zunächst mal ganz mensch­lich sei, dass man erst ein­mal beim Ver­trau­ten blei­ben wol­le und skep­tisch dem Neu­en und Frem­den gegen­über sei. Man müs­se sich das immer wie­der sagen, dass es sich loh­ne, auf­ein­an­der zuzu­ge­hen und sich vor­neh­men, den ande­ren zuzu­hö­ren. So wie in der Run­de heu­te, in der wirk­lich alle zu Wort kamen und sich auf Augen­hö­he begeg­nen konnten.