Gestovter Kohl

Gestovter Kohl

Im Gemein­schafts­haus der Tau­send­füß­ler Stif­tung in der Schüt­zen­stra­ße gab es am 13. Sep­tem­ber eine unge­wöhn­li­che Begeg­nung. An sich tref­fen sich nach­mit­tags die Senio­rin­nen und Senio­ren aus der Nach­bar­schaft zum Kaf­fee. Dies­mal beka­men sie Ver­stär­kung von den Damen und Her­ren des Kal­ten­kir­che­ner Senio­ren­bei­rats und von einer fröh­li­chen Run­de jün­ge­rer Kal­ten­kir­che­ner, die sich unter­ein­an­der auf Ara­bisch begrüß­ten. In Zusam­men­ar­beit mit der Deut­schen Gesell­schaft e. V. aus Ber­lin fand unter dem Mot­to „Mein, dein, unser Deutsch­land“ eine Gesprächs­run­de zwi­schen Ein­hei­mi­schen und Geflüch­te­ten statt. Mode­riert wur­de sie von Hei­ke Roth, Refe­ren­tin bei der Deut­schen Gesell­schaft. Die Flucht aus ihren Hei­mat­län­dern Syri­en und Irak liegt nun für alle Geflüch­te­ten schon Jah­re zurück. Nach Kal­ten­kir­chen führ­te sie der Zufall, kei­ner hat­te vor­her etwas davon gehört. An das ers­te Quar­tier, die „Ten­nis­hal­le“ kön­nen sich alle gut in der Run­de erin­nern, auch die alt­ein­ge­ses­se­nen Kal­ten­kir­che­ner hat­ten natür­lich davon mit­be­kom­men. Lia­ne Lirut­ti vom Senio­ren­bei­rat konn­te berich­ten, dass sich Kal­ten­kir­chen damals bewusst für die Auf­nah­me von Geflüch­te­ten ent­schie­den habe, „wir wuss­ten, dass wir die Arbeits­kräf­te in unse­ren Betrie­ben gut gebrau­chen kön­nen und dass alle Arbeit fin­den würden.“ 

Beruf­lich konn­ten inzwi­schen auch die vier Gäs­te mit Flucht­hin­ter­grund Fuß fas­sen. Yasa­meen K., die in Ham­burg eine Aus­bil­dung zur Erzie­he­rin macht, erzähl­te, wie froh sie sei, die­sen Weg ein­ge­schla­gen zu haben: „In mei­ner Hei­mat­stadt Bag­dad hat­te ich Geo­gra­phie stu­diert, das war eigent­lich gar nicht das, was ich wirk­lich machen woll­te.“ Hier in Deutsch­land hat­te sie die Mög­lich­keit, ver­schie­de­ne Prak­ti­ka zu machen, nun äußer­te sie sich begeis­tert von ihrem zukünf­ti­gen Beruf: „In mei­ner Ein­rich­tung sind vie­le ara­bisch­spra­chi­ge Kin­der, ich mer­ke, dass ich gebraucht wer­de, auch, um mit den Eltern zur reden.“ Kar­rar A. zeig­te sich eben­falls ziem­lich zufrie­den mit dem Erreich­ten. Zwar habe er eine Aus­bil­dung im IT-Bereich abge­schlos­sen, dann habe ihn Coro­na aber zu Ama­zon geführt, wo er nun bereits Team­lei­ter sei. „Es macht Spaß, die Leu­te anzu­lei­ten“, sag­te er und mach­te dabei ein ver­schmitz­tes Gesicht. Osa­ma H. und Moham­mad A. erin­ner­ten sich dar­an, wie schwer es ihnen am Anfang gefal­len sei, Deutsch zu ler­nen. „Kran­ken­ver­si­che­rungs­kar­te“ zum Bei­spiel, das sei ein ziem­lich kom­pli­zier­tes Wort. Bei­de arbei­ten inzwi­schen als Schul­so­zi­al­ar­bei­ter. Eine Senio­rin mach­te ihrer Empö­rung Luft: „Ich bin ja selbst nicht so aktiv gewe­sen, als die Flücht­lin­ge kamen, aber ich fin­de es total falsch, dass man immer sagt, die Flücht­lin­ge bekom­men zu viel Geld.“

Die Ten­nis­hal­le haben natür­lich alle längst hin­ter sich gelas­sen und woh­nen in eige­nen Woh­nun­gen, aber es habe lan­ge gedau­ert, bis es soweit war. Was sie als Hei­mat bezeich­nen wür­den, wur­den sie gefragt. Moham­mad A. erwi­der­te nach­denk­lich: „Hei­mat, das ist kein bestimm­ter Ort, das ist da, wo ich gut leben kann. Ich bin seit sechs Jah­ren in Kal­ten­kir­chen, inzwi­schen haben wir zwei Kin­der, bei­de gehen in die Kita. Wir woh­nen hier, haben Arbeit. Hier bin ich sicher, hier ist jetzt mei­ne Hei­mat.“ Ein The­ma, das bei­de Sei­ten beweg­te, war die Fra­ge, wie man bes­ser zuein­an­der fin­den kön­ne. Die Geflüch­te­ten auf der einen Sei­te und die Deut­schen auf der ande­ren. Im All­tag gin­ge man sich doch oft aus dem Weg. Osa­ma H. erzähl­te dazu eine klei­ne Geschich­te: „Als ich neu ein­ge­zo­gen bin, hat eine Nach­ba­rin bei mir geklin­gelt und mich zum Essen ein­ge­la­den. Wis­sen Sie, was es gab? Gestov­ten Kohl. Und ich habe sie auch ein­ge­la­den zu einem ara­bi­schen Essen.“ Das Gesprächs­the­ma traf den Nerv, denn zum The­ma Essen, Kochen und lan­des­ty­pi­sche Gerich­te woll­ten alle ihren Gesprächs­bei­trag leis­ten: Gestov­ter Kohl mit oder ohne Sah­ne, mit Kar­tof­feln als Bei­la­ge oder ohne. Eine Kind­heits­er­in­ne­rung sei das für sie, die Groß­mutter habe das auf dem hei­mi­schen Bau­ern­hof für alle sie­ben Geschwis­ter gekocht, so eine älte­re Dame. Was er denn ange­bo­ten habe, woll­te eine ande­re wis­sen: „Ein Geheim­nis, Sie müs­sen schon zu mir kom­men, dann erfah­ren Sie es!“ Was Osa­ma H. damit sagen woll­te: Über Begeg­nun­gen, über das Gespräch käme man sich näher, aktiv sol­le man auf­ein­an­der zuge­hen. Hei­ke Roth aus Ber­lin sah hier Poten­zi­al für ein neu­es Ver­an­stal­tungs­for­mat: Gemein­sam essen, Rezep­te aus­tau­schen und über den eige­nen Tel­ler­rand hin­aus­schau­en. Jean­ni­ne Stro­zyn­ski, die Lei­te­rin des Gemein­schafts­hau­ses, griff die Idee gleich auf und ver­sprach: „Das machen wir dann an unse­rem neu­en Stand­ort Am Markt, da sind wir mit­ten­drin!“ Aber erst müs­se natür­lich die Coro­na­pan­de­mie vor­bei sein.