Ein schönes, ein bekanntes, ein demokratisches Land

Ein schönes, ein bekanntes, ein demokratisches Land

Nicht in so einer lang­wei­li­gen Ord­nung soll­ten die Tische ste­hen, so ent­schied es der ehren­amt­li­che Hel­fer beim Frei­tags­früh­stück in Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­haus AWO­thek in der Nürn­ber­ger Süd­stadt mit gro­ßer Bestimmt­heit. Am Ende reich­ten die Sitz­plät­ze kaum für die vie­len Gäs­te, die es sich die dann in aus­ge­spro­chen freund­schaft­li­cher Atmo­sphä­re – die meis­ten waren per du – schme­cken lie­ßen. Erst­mal kei­nen Appe­tit hat­ten die zwei Gäs­te, die heu­te mit dazu gekom­men waren: Kha­lil, der sieb­zehn­jäh­ri­ge Schü­ler, und Ahmad, ein schlan­ker, erns­ter jun­ger Mann. Etwas auf­ge­regt waren sie, denn sie hat­ten sich bereit­erklärt, von ihrer Flucht aus Syri­en zu erzäh­len, vom Ankom­men in Deutsch­land und von ihren Wün­schen für die Zukunft. Kha­lil wur­de ziem­lich jäh aus sei­nem All­tag als Schul­kind geris­sen, als er mit sei­nen Eltern in die Tür­kei ging. Nur ein paar Jah­re konn­te er in Syri­en die Schu­le besu­chen, in der Tür­kei war nach einem Schul­jahr auch schon wie­der Schluss. Dann muss­te er sei­nen Eltern hel­fen, die sich mit Schnei­dern über Was­ser hiel­ten. Eine Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on brach­te die Fami­lie schließ­lich nach Deutsch­land. Hier ging Kha­lil in eine Berufs­schu­le, er lern­te und hol­te alles nach, will jetzt auf die Real­schu­le wech­seln, spä­ter noch das Abitur machen und stu­die­ren. Einen kon­kre­ten Berufs­wunsch habe er aber noch nicht. Nach zwei Jah­ren in Deutsch­land spricht er schon aus­ge­zeich­net Deutsch. Wohl des­halb muss er vie­le Din­ge für sei­ne Eltern und Geschwis­ter regeln, so berich­te­te Julia Sch­andri, die nicht nur das Frei­tags­früh­stück koor­di­niert, son­dern in der AWO­thek auch Geflüch­te­te berät. Immer wie­der habe er nach Nach­hil­fe­un­ter­richt für sei­ne Geschwis­ter gefragt, den sie dann auch bekom­men hätten.

„Gro­ßen Respekt“ habe sie davor, wie flei­ßig er sei und wie er sei­ne gan­ze Fami­lie unter­stüt­ze, so drückt eine Teil­neh­me­rin des Frei­tags­früh­stücks es aus, so reif wäre sie mit 17 Jah­ren noch nicht gewe­sen. Ein ande­rer Gast woll­te wis­sen, was Kha­lil zu Deutsch­land ein­fie­le. Was sei „Deutsch­land in drei Wor­ten“ für ihn: „Schön“ sei das Land, und „bekannt“, das fiel Kha­lil sofort ein. Über einen drit­ten Begriff muss­te er nachdenken. 

„Demo­kra­tisch“, sprang Ahmad ihm bei. Er erzähl­te die Geschich­te sei­ner Flucht, die eigent­lich schon fünf Jah­re vor dem Ver­las­sen sei­ner Hei­mat Syri­en begon­nen hat­te, denn seit dem Aus­bruch des Bür­ger­krie­ges muss­te sich die gan­ze Fami­lie ver­ste­cken. Er brach schließ­lich auf, ohne sei­ne Fami­lie, mit unge­wis­sem Ziel, über den Liba­non in die Tür­kei, mit dem Boot nach Grie­chen­land und wei­ter über die Bal­kan­rou­te. 21 Tage sei er zu Fuß unter­wegs gewe­sen, meist in der Nacht, manch­mal ver­folgt von der Poli­zei, immer hung­rig und durch­ge­fro­ren. Sogar ins Gefäng­nis hat­te man ihn gesteckt, in Ungarn. Dann fiel der Ent­schluss, dass es nach Deutsch­land gehen soll­te. So erschöpft sei er gewe­sen, dass er nach der Ankunft in Nürn­berg erst ein­mal ins Kran­ken­haus muss­te. Und jetzt müs­se er beim Erzäh­len eine Pau­se machen, es kos­te ihn viel Kraft, sich zu erin­nern. Wie vie­le Kilo­me­ter es gewe­sen sei­en, frag­te eine Zuhö­re­rin schließ­lich. „Ich weiß es nicht, ich will es nicht wis­sen. Mei­ne Füße wis­sen es“, so drück­te Ahmad das aus. Auf die Fra­ge, wie sein All­tag in Nürn­berg aus­se­he, berich­te­te er, dass er im Moment Haus­mann sei, sei­ne Frau, die mit den Kin­dern auch nach Deutsch­land kom­men durf­te, mache jetzt eine Aus­bil­dung. Beson­ders die Zuhö­re­rin­nen zeig­ten sich sehr erfreut, dass er sei­ne Frau so unter­stüt­ze, nor­mal sei das ja noch längst nicht, auch nicht in Deutsch­land. Sie bestärk­ten ihn dabei aus­drück­lich. Nur zu Hau­se sein, das sei aber auch nichts für ihn, er habe viel bekom­men und möch­te auch etwas zurück­ge­ben, nun mache er zusätz­lich eine Aus­bil­dung zum ehren­amt­li­chen Seelsorger.

Das Gespräch zwi­schen den bei­den Geflüch­te­ten und den Alt­ein­ge­ses­se­nen ging noch leb­haft wei­ter, als sich die gro­ße Run­de schon auf­lös­te. „Wir haben auch alle unser Päck­lein zur tra­gen, aber das lässt sich doch über­haupt nicht ver­glei­chen mit dem, was die bei­den und so vie­le ande­re erlebt haben“, sag­te nach­denk­lich eine Teil­neh­me­rin. „Wir soll­ten ihnen bes­ser zuhören.“

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